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Ist der Terrorismus von al-Qaida ein Angriff auf ein System oder auf westliche Werte ganz generell? In einer brillanten Analyse weist John Gray nach, dass der Mythos der Moderne - der Glaube an Wissenschaft und Technik, freien Markt und Demokratie als Heilsversprechen für die Welt - notwendig den Terrorismus als Zwilling hervor bringt.

Produktbeschreibung
Ist der Terrorismus von al-Qaida ein Angriff auf ein System oder auf westliche Werte ganz generell? In einer brillanten Analyse weist John Gray nach, dass der Mythos der Moderne - der Glaube an Wissenschaft und Technik, freien Markt und Demokratie als Heilsversprechen für die Welt - notwendig den Terrorismus als Zwilling hervor bringt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2004

Begrenzte Einsichten
Untersuchungen über Ideen und Geschäfte von Al-Qaida

John Gray: Die Geburt Al-Qaidas aus dem Geist der Moderne. Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Verlag Antje Kunstmann, München 2004. 175 Seiten, 16,90 [Euro].

Loretta Napoleoni: Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren der Dollars hinter dem Terrorismus. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher und Bernhard Jendricke. Verlag Antje Kunstmann, München 2004. 445 Seiten, 24,90 [Euro].

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben nicht nur in Amerika, sondern überall auf der Welt heftige Erschütterungen ausgelöst. Wenn derart dramatische politische Ereignisse passieren, neigen die Zeitgenossen spontan dazu, sie als weltgeschichtliche Zäsur anzusehen - nichts wird jemals wieder so sein, wie es vorher war. Schon wenig später aber beginnt das diskursive Kleinschreiben. Beteiligt daran sind vor allem auch eilige Intellektuelle, nämlich solche mit der Gabe rascher Formulierung. Das ist auch in Ordnung so, denn genau das macht ihre gesellschaftliche Rolle aus. Ihre Gegenwartsdeutungen helfen bei der kollektiven geistigen Verdauung.

Auch John Gray ist solch ein Verdauungshelfer, einer, der sich durch ungewöhnliche Eile auszeichnet. Die hat ihre Kosten. Manche philosophischen Verknüpfungen bleiben recht lose. Manche historischen Verweise sind falsch, etwa wenn Fichtes Wirken vom frühen ins späte 19. Jahrhundert verlegt wird. Manche allenfalls runderneuerte These wird mit Verve als völlig neue Einsicht etikettiert, so daß einem zuweilen etwas schwindelig wird. Gerne und hartnäckig zitiert der Autor sich selbst. Seine ideengeschichtliche Rekonstruktion des Al-Qaida-Terrorismus macht aus diesem einen Nachfahren des europäischen Anarchismus aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. So wie damals in Joseph Conrads Roman "Der Geheimagent" mit dem Anschlag auf das Observatorium von Greenwich die "hochheilige Wissenschaft" der Physik symbolisch getroffen werden sollte, so wollten die Attentäter von Al Qaida mit dem World Trade Center in New York die Ökonomie tödlich treffen, die nach Gray heute die Schlüsselstellung unter den Wissenschaften innehat wie seinerzeit die Physik. Jedesmal sei es darum gegangen, "die Welt durch spektakuläre Terrorakte neu zu erschaffen". Dieser Vergleich ist dermaßen absurd, gleichzeitig Ausweis von oberflächlicher Conrad-Lektüre und Ahnungslosigkeit in Wissenschaftsgeschichte, daß man ihn fast schon wieder brillant nennen kann, nicht wegen der analytischen Schärfe des Autors, sondern wegen seiner Kunst des Zurechtbiegens.

Nach längeren, durch Anekdoten aufgelockerten Kapiteln über die Geistesgeschichte des Positivismus und die untauglichen, in Katastrophen endenden Versuche von Kommunismus und Nationalsozialismus, mit unterschiedlichen Ideologien und Zwangsmitteln den "neuen Menschen" zu kreieren, kommt Gray in neo-malthusianischem Pessimismus zu dem Schluß, die Wissenschaften hätten den Menschen in der Moderne die Illusion vermittelt, sie könnten ihr Geschick selbst bestimmen. Auch die Terroristen der Al Qaida hängen dieser verhängnisvollen Illusion an, die uns weiterhin Konflikte und Kriege garantiert.

Loretta Napoleoni hat in ihrem umfang- und faktenreichen, von Wiederholungen leider nicht ganz freien Buch über die wirtschaftlichen Aspekte des modernen Terrorismus auch nicht viel Tröstliches zu verkünden. In der Hauptsache untersucht sie den Al-Qaida-Terrorismus, aber weil die Terrornetzwerke inzwischen schon sehr viel weiter gespannt sind, nimmt sie gelegentlich auch andere Gruppen wie die FARC in Kolumbien oder die IRA in Nordirland in den Blick. Sie setzt an bei den Finanzierungsquellen terroristischer Gruppen und blendet, was für diese Untersuchung legitim, wenn auch nicht unproblematisch ist, deren religiöse und politische Ziele weitestgehend aus. Ihre Methode ist ein etwas kruder Faktenanhäufungs-Empirismus nach Art von Enthüllungsjournalisten. Damit gelingen ihr eindringliche Schilderungen der wirtschaftlichen Aktivitäten von Terrorgruppen, der Verbindung von Terror und Drogenhandel, der makroregionsweiten Schmuggelgeschäfte, der Geldwäsche und der parasitären Durchdringung schwacher oder nur noch als Hülle bestehender Staaten. Über den Umfang der Terrorismus-Wirtschaft auf der ganzen Welt kann man nur spekulieren; Napoleoni schätzt ihn auf fünf Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.

Den Begriffen, mit denen Napoleoni die von ihr beschriebenen Vorgänge verallgemeinernd zu fassen versucht, fehlt allerdings häufig Überzeugungskraft. Unter "Terror-Reaganomics" kann man sich genausowenig vorstellen wie unter "Neuer Ökonomie des Terrors". Da handelt es sich mehr um Metaphern aus der ökonomischen Fachsprache, die im übrigen manchmal eine schicke Spielart der Amerika-Beschimpfung spiegeln. Das ganze Buch durchzieht ein leichter Hauch davon.

Eine von den zwei Hauptthesen Napoleonis ist leider völlig unbestreitbar: Das Aufkommen und die Entwicklung des modernen Terrorismus - ganz besonders sogar des Al-Qaida-Terrorismus - wurden von verschiedensten Akteuren, Privatleuten wie Regierungen, im Westen indirekt begünstigt und befördert. Die hier noch einmal erzählte Geschichte von den Verhandlungen zwischen amerikanischen Ölfirmen und dem Taliban-Regime in Afghanistan Mitte der neunziger Jahre über den Bau einer Ölpipeline illustriert diesen betrüblichen Sachverhalt. Napoleonis zweite Hauptthese ist demgegenüber mehr als zweifelhaft. Den "Dschihad-Terrorismus" betrachtet sie als Ausdruck der Dynamik von wirtschaftlich und politisch aufstiegswilligen, aber von den oligarchischen muslimischen Regimen und den westlichen Kapitalisten unterdrückten "neuen muslimischen Kräften". Ihnen bleibe nur die Kreuzzugsmentalität, um sich entfalten zu können. Das geht am Kern des Phänomens vorbei. Eine ausschließlich auf das Wirtschaftliche konzentrierte Untersuchung des Terrorismus führt nur zu begrenzten Einsichten.

WILFRIED VON BREDOW

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nicht wirklich begeistert zeigt sich Rezensent Martin Meyer in seiner Besprechung von John Grays Essay über Fundamentalismus und Aufklärung. Zwar schätzt er den Ideenhistoriker Gray und seine "eingängige Prosa", kann aber in dessen neuem Essay keine "echten Perspektiven" entdecken. Eingehend referiert er Grays kritische Auseinandersetzung mit der Moderne, die der Autor vor allem als Versuch der Selbstermächtigung des Menschen gegen die Natur und religiös-theologische Bevormundung beschreibt, für die Fortschritt durch Technik das Zauberwort ist. Am Beispiel von Kommunismus, Nationalsozialismus und dem radikalen Islam sucht Gray den kriegerischen Fundamentalismus aus einem für die Moderne spezifischen Geist der großen Machbarkeit zu erklären. Dass sich der Terrorismus seine Waffen nach den Möglichkeiten des Fortschritts schmiedet, hält Meyer für ein "banales Faktum". Beunruhigender findet er, "dass die letzten Überzeugungen der Agenten des Schreckens in der Vormoderne zusammenlaufen." Für ihn nährt Grays Essay letztlich nur die Melancholie, "dass der Streit der Werte vergeblich wäre."

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